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Kreativer Schreibtreff für das lustvolle Leben von grundlosen Wortansammlungen, die sich einfinden und entäußert werden wollen. Eine Art Buchstabensuppe, die schöpferischen Prinzipien folgen.

Thematisches Arbeiten:

Ich entwickele mit Ihnen gemeinsam Geschichten, Texte zu Themen oder Metaphern. Wir reflektieren diese in der Kleingruppe.

Nächster Schreibtreff: ...


Textauszüge fortfahrend...

Das ist es

Das ist es doch wohl immer. Der eine denkt sich was und der andere soll es wissen, besser noch erahnend fühlen. Ich stehe im Dunkeln und bin zwei Möwen. Wusstest du, dass Möwen eine Fettdrüse im besten Stück, in ihrem Stürzel haben. Es ist nebenbei ein Grund, weshalb sie nicht untergehen. Fett auf dem Gefieder hält sie warm und trocken. Deswegen putzen sie sich unentwegt. Nicht untergehen zu wollen ist auch ein guter Grund. (für Re, 2006)

 


Gangart einer Zeichnung

Untertitel: Das Nilpferd

Hast du gesehen, wie ein Nilpferd in einer Zeichnung laufen lernt? Durch Unentschlossenheit. Durch Löschung einer allzu starken Linie. Der Radierer nimmt sie auf, beseitigt den unbedachten Schritt, bricht Oberfläche. Löschung und niemand ist schuld. Es bleibt ein Abdruck, eine Erinnerung, eine tiefe Furche im Grunde einer fremden Schöpfung Papier. Vier Füße. Darüber, dahinter oder davor folgt übertrieben, vielleicht aus Angst und dem festen Willen, es diesmal besser zu beabsichtigen, der nächste Schritt einer Wiederholung, angehangen vier Striche. Eine Beisetzung ins Reine. Sollte er wieder missraten, wird die Beseitigung aller schwarzen Reste nicht leichter.  Ein dritter Versuch nach vergeblicher Löschung. Aller guten Dinge sind wichtig, aller guten Dinge sind drei mal vier Füße. Leicht gleitet der abgetriebene Strich über die beseitigten Furchen der Unentschlossenheit, abseits liegende Muskeln sollten es werden.

Es kann so bleiben. Muss, eine Zerreißprobe wurde in Erwägung gezogen. Abgelehnt. So steht das Nilpferd für sich allein. Unübersehbar die jüngeren Versuche einer rechten Proportion einer ausgewogenen Positionierung. Abbildung und einer trabt über das Blatt. Immer läuft einer über den Rand. Möglichkeit, siehst du es, und innere Genugtuung beschließt den Akt.

Erkenntnis: Nilpferde haben eben ihre ganz persönliche Gangart. Man muss mitlaufen, um es sich vorstellen zu können. Lass es laufen und es läuft… (2009)

 


Der Taschenkalender

Ich dachte mir, genau das ist es. Ein tobendes Jahr, den Anfang verblättert und den Geburtstag vorgezogen. Ich erkläre hiermit den Tag der Ankunft als deinen diesjährigen freien Geburtstag und hier das tütelige Geschenk…Eine Tagzählmaschine sammelt alles Geplante und auch das Vergessene und das Unnötige und das Unbedachte, auch vergangen den Müll und als Volumen eine Auskunft über die Bereicherung mancher Tage. Es ist eine unsinnige Sinnesverknüpfung, die zum Schmunzeln anregt. Ich hoffe, dein Haupt hat sich erholt und du hast die mahnenden Worte deiner leichtfüßigen Mutter gut weggesteckt und wenn nicht, dann hast du ja jetzt genügend Taschen, um sie gut verpackt abzustellen. Du wirst in deinem Leben sowieso keine perfekte Tochter mehr werden. Nicht mal mit den besten Absichten. Du bleibst schwimmendes Wasser und verdunkelte Kinoleinwand. Obwohl? Jedenfalls, Kompott gibt es auch weiterhin mindestens am Sonntag. Es scheint damit gesagt, es bleibt nichts übrig.

Ich hätte noch einen Wortabfall: Hast du meinen Geburtstag schon eingetragen?

Sei lieb gegrüßt, es wird wärmer ...  le (für Syl, 2006)

 


Ihr Lieben,

heute will ich Euch etwas berichten, was Euch sicherlich genauso erstaunen wird, wie mich. Macht es Euch gemütlich am warmen Kamin und lasst Euch erzählen:

Es wurde langsam Abend. Ich hatte alles Notwendige erledigt, machte mir mein Abendessen und wollte mich gerade wie üblich vor den Fernseher setzen, um die große weite Welt in meine kleine zu holen – da winkten 2 zappelige Kinder vor meinem Fenster und bedeuteten mir, heraus zu kommen. Ich war ziemlich genervt und dachte kurz daran, die Störung einfach zu ignorieren – aber da sah ich, dass die beiden Buben munter mit ihren Rollerblades über meinen Rasen fuhren und offensichtlich etwas suchten.

Also ließ ich mein Abendessen Abendessen sein, ging nach draußen, um Schlimmeres zu verhindern und beteiligte mich an der Suche nach einem kleinen grünen Tennisball, der beim Spiel über die Dächer verloren gegangen war.

Aber was soll ich Euch sagen? Wir fanden den Ball auch zu dritt nicht, obgleich ich noch vorsichtshalber selbst von oben in alle Dachrinnen geschaut hatte.

Die Buben schienen bald auch selbst keine Lust mehr am Suchen zu haben und meinten, sie würden ins Land der verlorenen Dinge reisen, da würden sie bestimmt fündig. Da wurde ich plötzlich sehr neugierig und interessiert, den dieses Land, von dem ich noch nie gehört hatte, würde ich gerne einmal kennenlernen. Denn was hatte ich selbst nicht schon alles verloren. Ständig suchte ich etwas, obgleich ich mich auch ständig bemühte, Ordnung zu halten.

Also fragte ich die Kinder, ob ich sie auf ihrer Reise begleiten dürfe. Die beiden beratschlagten sich kurz, hielten  dann aber mein Vorhaben für machbar. Gefragt, wann die Reise losgehen soll, meinten sie: „Morgen früh, wenn‘s hell wird.“

Das war mir dann doch etwas zu spontan und ich warf ein, dass ich ja schließlich noch meinen Koffer packen müsste und überhaupt auch gar nicht wüsste, was man in dem Land der vergessenen Dinge alles benötigen würde, wie das Klima dort wäre, wie lange die Reise dauern würde usw. usw.

Viele Fragen hatte ich an die Knirpse – aber die lachten nur und meinten, ich solle mir keine Sorgen machen. Wenn ich meine, könne ich ja einen Koffer mitnehmen – aber der solle dann auf alle Fälle leer sein, denn die Reise ginge zu Fuß und ich müsste den Koffer auf alle Fälle selbst tragen. Sie seien dazu nicht bereit.

Da kamen mir doch erhebliche Zweifel an meinem Vorhaben. Was brauchte ich nicht alles und zwar ständig: Etwas für die Kälte, etwas gegen die Hitze, etwas gegen Regen, Hunger und Durst. Und dann die vielen Hilfsmittel im Alter: Brille, Zahnersatz, Hörgerät, Tabletten … Die Liste wurde immer länger – so dass ich schließlich genervt aufgab und dem Rat meiner beiden Reiseführer folgend nur meinen leeren Koffer bereitstellte.

Nach einer ziemlich unruhigen Nacht verließ ich mit leichtem Gepäck mein Haus und wartete auf meine Begleiter. Als sie aber nicht kamen, beschloss ich, nicht länger zu warten und mich allein auf den Weg zu machen und das Land der verlorenen Dinge zu suchen und auch zu finden. Die Sonne ging gerade auf und durchdrang mit Licht und Wärme die grauen Nebelschleier. Im Frauenmantel und in den Spinnennetzen funkelten die Tautropfen wie Diamanten, schöner als alle Schmuckstücke, die ich je besessen und wieder verloren hatte. Farbig leuchtete das Weinlaub in einer Vielfalt der Schattierungen, wie sie kein Maler ausdenken könnte, und meine Sorgen wurden leicht in die Höhe getragen wie die Steine von den Ranken des wilden Weines. Und dann erwachten die Vögel. Erst hörte ich einzelne noch verschlafene Stimmen. Aber bald setzte das ganze Orchester ein in einer Vielfalt und Harmonie – ohne Noten, Instrumente und Dirigenten – alles Dinge, die ich zum Musizieren gebraucht hatte und von denen ich mich notgedrungen schon lange getrennt und sie verloren hatte.

H

Hildegard Stamminger, der Koffer

Und dann kam die größte Überraschung: Es gab einen Weg mit vielen Glückskleeblättern, der mich direkt zu meinem alten verlorenen Turnschuh führte. Die Natur hatte ihn etwas verändert und nun taugte er für eine neue Liebe. 2 Vögel hatten darin ihr Zuhause gefunden.

P.S. An diesem Morgen erwachte ich mit einem Lächeln und voll Zuversicht für weitere Reisen in unbekannte Länder. Und wenn Ihr wollt, dürft Ihr mich gerne begleiten.

Bis dahin lebet wohl und seid herzlich gegrüßt von Hilde